Freitag, 1. Mai 2015

Hexennacht à la Elke Schwab :-)

Eine tolle Hexennacht habe ich erlebt und dabei sogar einen Kurzkrimi passend zum Thema zum Besten gegeben. Damit auch die etwas davon haben, die gestern nicht dabei sein konnten, poste ich diesen Kurzkrimi hier:


Gute Aussichten

Kunstvoll drapiert Hugo Egon Walther seine letzten Accessoires am „Davinci-Pur“ Bett der Bettenabteilung im größten Möbelgeschäft in Saarbrücken. Beim Anblick des verschnörkelten Kopfendes gerät er ins Träumen, während er die rosa Handschellen an die Metallstreben hängt. Auch das Fußteil besticht durch verzierte Elemente. Daran prangen ebenfalls rosa Handschellen. Dieses Jahr setzt er seine Dekoration auf Fesselspiele. Hugo will die Attraktion des morgigen Tages sein. Dass ausgerechnet der 1. Mai „Tag der Arbeit“ genannt wird, hat arbeitsreiche Folgen für ihn, seit er der Abteilungsleiter der Bettenabteilung ist. Eine Mai-Tour ist nicht mehr für ihn drin. Der Geschäftsführer, Thomas Bechtel, hält es für einen besonders raffinierten Schachzug, den „Tag der offenen Tür“ ausgerechnet am diesem Tag zu veranstalten.
Aber das wird bald ein Ende haben.
Zufällig weiß Hugo, dass sich Bechtel jeden Morgen vor Arbeitsbeginn eine kleine Flasche Pikkolo genehmigt – dazu noch eine von der ganz billigen Sorte mit Schraubverschluss. Genau genommen ist dieser Mann Alkoholiker, nur hat bisher niemand etwas bemerkt. Offensichtlich besoffen ist er nie – er trinkt wohl immer nur bis zu einem gewissen Level. Trotzdem sieht Hugo in diesem Mann keine Kompetenz zum Geschäftsführer. Aber anzeigen will er ihn nicht. Das ist zu hinterhältig. Er hat einen besseren Plan. Einen viel besseren!
Seine Frau leidet seit einigen Jahren an Herzinsuffizienz, woraus sie keinen Hehl macht. Täglich erinnert sie ihn daran und macht ihn sogar noch dafür verantwortlich. Daher sind Herzglykoside immer bei ihm zuhause. Zufällig weiß Hugo, dass dieses Medikament - falsch angewendet - auch tödlich sein kann. Man denke nur an Pflanzen wie „Fingerhut“ oder „Maiglöckchen“. Bei einer Überdosierung kommt es zu Herzkammerflimmern und im Falle des ewig angetrunkenen Geschäftsführers ist damit zu rechnen, dass der das nicht überlebt. Dann steht Hugo nichts und niemand mehr im Weg, selbst Geschäftsführer zu werden.
Schon morgen früh wird sich sein Leben von Grund auf ändern, denn er hat gerade eine große Anzahl der Tabletten in der obligatorischen Pikkoloflasche aufgelöst.
Summend geht er durch die dunklen Lagerräume. Wie immer ist er der letzte der Belegschaft. Aber das macht ihm nichts aus. Er hat noch etwas vor: Heute ist Hexennacht.
Er erhofft sich ein wildes Abenteuer. Seit der Herzkrankheit ist mit seiner Alten, mit Mathilde, nichts mehr los im Bett. Sein Testosteron hat sich inzwischen in ungeahnte Ausmaße angestaut. Und das will er heute Nacht freilassen. Die Vorstellung von nackten Weibern, die bei Walpurgisnacht um ein Feuer tanzen und dabei alles schütteln, was sein Männerherz … ach Quatsch … was seinen „kleinen Hugo“ aufrichtet, lässt ihn schmunzeln. Zwar würde in Saarbrücken keine Schar von nackten Weibern herumlaufen. Dafür hoffentlich welche von der willigen Sorte ...
Den Rest der Herztabletten steckt er in seine Hosentasche. Wegwerfen wäre Verschwendung - seine Frau braucht sie noch.
Kaum hat er den Hinterausgang abgeschlossen, befindet er sich mitten im Treiben der Landeshauptstadt. Das Geschäft liegt auf der Nauwies. Hier gibt es alles, was sein Herz begehrt.
Er geht los und sieht sich direkt auf drei Frauen zugehen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Eine ist in ein hautenges, durchsichtiges Kleid gehüllt. Darunter ist sie nackt. Hugo blinzelt geblendet. Die Dame in der Mitte hat sich als Hexe kostümiert. Die Verkleidung regt seine Fantasie bis ins Unermessliche an. Er malt sich aus, ihr alles vom Leib zu reißen, um zu sehen, was sich darunter verbirgt. Aber nicht zu vergessen die Dritte im Bunde. Sie hat ihre blonden Haare zu mädchenhaften Zöpfen geflochten. Ihr Gesicht betont ein aufdringliches Make up. Darunter trägt sie … ein Kinderkleid – ein Anblick, der ihn fesselt. Nichts daran passt zusammen und doch ist es dieser Gegensatz von kindlich und lasziv, der ihn so antörnt.
Er spürt die Blicke der drei Frauen auf sich und kann sein Glück gar nicht fassen. Sie meinen tatsächlich ihn.
„Na Süßer! Samenstau?“, fragt Zopfliesel.
Hugo verschluckt sich über diese Direktheit. Aber „Klein-Hugo“ reagiert professioneller. Die Hose wird verdammt eng.
„Kann es sein, dass du gerade aus dem Möbelhaus gekommen bist?“, haucht die Dame hinter der Hexenmaske in sein Ohr.
„Ja! Ich bin dort der Abteilungsleiter für die Bettenabteilung.“
„Bettenabteilung?!?! Wie finde ich das?“, schnurrt die Halbnackte. „Dann brauchen wir ja gar nicht zu suchen, wo wir uns amüsieren wollen.“
Die drei lachen aus vollem Halse. Hugo stimmt mit ein. Schon haben sie ihn in ihrer Mitte, drehen ihn um und führen ihn dorthin zurück, wo er gerade hergekommen ist. Ohne zu zögern nimmt er den Schlüssel aus der Jackentasche, sperrt die Hintertür auf und lässt die Damen eintreten.
In der Bettenabteilung schaltet er gedämpftes Licht ein. Die Frauen sehen die Requisiten, ihre Augen leuchten. Hastig steuert Hugo das Kopfende des „Davinci-Pur“ Bettes an, um die Handschellen zu entfernen, als er auf dem Bett landet. Aufstehen ist nicht mehr möglich, schon sitzt die Maskierte auf ihm. Ihr Gewicht drückt ihn nieder. Ruck zuck ist er nackt.
Warum wehrt er sich nicht? Weil es ihm gefällt!
Die drei heißen Feger packen ihn an Armen und Beinen und fixieren ihn im Nu ans Bett. Regungslos und ausgeliefert liegt er vor ihnen. Er wundert sich über sich selbst, wie schön er diese Situation empfindet. Er kann es kaum noch erwarten, dass sie sich auf ihn stürzen und an ihm verlustieren.
Doch das passiert nicht …
Wie Salzsäulen stehen sie um das Bett herum und starren auf ihn herab. Langsam wird ihm mulmig.
„Klein-Hugo“ hat die Lage bereits begriffen und verkriecht sich.
„Warum tut ihr nichts?“, wagt er endlich zu fragen.
„Hast du wirklich geglaubt, dass die Frauen aus Saarbrücken ausgerechnet einen Mann wie dich abschleppen?“
Diese Stimme kommt ihm bekannt vor. Sein Blut schießt in die falsche Richtung, nämlich in den Kopf. Was geht hier vor?
Schon kommt die Antwort. Die Hexe reißt sich die Maske vom Gesicht und vor ihm steht seine Frau Mathilde. Die beiden anderen sind bereits verschwunden.
„Was soll das?“ Hugo zittert.
„Du willst doch morgen die Hauptattraktion des Tages sein“, erklärt Mathilde süffisant. „Das wird dir gelingen!“
Lachend stolziert sie davon und lässt Hugo Egon Walther tatsächlich allein in dieser misslichen Lage zurück. Er ruft ihren Namen, bis sein Rufen in ein panisches Schreien übergeht. Aber nichts passiert. Allein, nackt und gefesselt an das teuerste Bett der Bettenabteilung, die er höchstpersönlich leitet, bleibt er zurück. Er reißt an den Handschellen, die lediglich aus Plastik bestehen. Sie geben nicht nach. Niemals hätte er für möglich gehalten, dass diese billigen Dinger so stabil sind.

Ein Geräusch dringt an sein Ohr.
Erschrocken öffnet er die Augen und stellt fest, dass es inzwischen taghell ist. Er friert ganz jämmerlich, was ihm bestätigt, dass er immer noch nackt ist.
Das Geräusch kann er inzwischen zuordnen. Thomas Bechtel, der Geschäftsführer, ist durch den Hintereingang hereingekommen. Noch nie hat er sich so nach diesem Mann gesehnt. Er ruft seinen Namen. Doch nichts passiert. Sollte der tatsächlich seinen Pikkolo einem echten Notfall vorziehen? Das wäre ungünstig. Wenn er ausgerechnet jetzt und hier tot umfällt ... Hugo will sich die Folgen gar nicht ausmalen.
Wieder schreit er Bechtels Namen. Wieder, wieder und wieder. Endlich wird eine Tür geöffnet! Jedoch nicht die Tür zum Chefbüro, sondern die Haupteingangstür zum Geschäft.
Schon von weitem sieht Hugo eine Frau auf ihn zusteuern. Er erkennt sie sofort: Es ist ausgerechnet die Chefsekratärin. Aber egal! Hauptsache jemand kommt ihn aus seiner verzweifelten Lage befreien. Aber was macht sie? Sie bleibt fünf Meter vor ihm stehen und schreit, als sei er ein Gespenst. Das Schreien geht in ein wahnsinniges Kreischen und dann in ein hysterisches Lachen über.
Meine Güte! Peinlicher geht es nicht mehr.
Doch geht es …
Im gleichen Augenblick wankt Thomas Bechtel auf ihn zu – das Gesicht kalkweiß, ein Schweißfilm auf seiner Haut und beide Hände auf die linke Brusthälfte gepresst. Als sein Blick auf Hugo trifft, fällt er tot um.
Das Lachen der Sekretärin geht wieder in lautes Kreischen über.
Wenige Sekunden später ist Hugo umringt von Menschen, die lachen, reden und schreien. Etliche Handys werden auf ihn gerichtet und klicken. Hugo wünscht sich auf den Mond.
Irgendwann wird eine Decke über ihn gelegt. Er glaubt fast zu träumen. Jemand schneidet die Plastikhandschellen auf; er ist befreit. Doch der Traum wandelt sich schnell in den nächsten Albtraum: Neben Sanitäter und Leichenbestatter taucht auch die Polizei auf.
Bechtel ist wirklich im falschen Moment abgekratzt.
Hastig schnappt Hugo nach seiner Hose, da fallen die restlichen Tabletten aus der vorderen Tasche heraus. Einer der Polizisten ist schneller als er und hebt sie für ihn auf.

Zwei Tage später.

Die Sonne taucht seine kleine Zelle in ein freundliches Licht. Hugo sitzt auf der Pritsche und liest die BILD-Saarland. Das Foto nimmt das gesamte Deckblatt ein. Darauf ist er nackt und ans Bett gefesselt zu sehen. Der Anblick ist so entwürdigend, dass er sich darüber freut, jetzt auf dem höchsten Berg von Saarbrücken zu sein, auf der sogenannten „Bellevue“, im Gefängnis „Lerchesflur“. Mit lebenslänglich kann er mindestens rechnen. Aber hier ist er ganz anonym der „Häftling aus Zelle Sieben“. Er wirft die Zeitung in die Ecke, stellt sich ans Fenster und genießt durch die Gitterstäbe diese guten Aussichten.

© Elke Schwab


Das war unsere Hexentruppe an Hexennacht! 

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